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#mutter

04. März 2025 Lea-Maria Kneisel

„Mit der Geburt eines jeden Kindes sollten dir eigentlich zwei weitere Arme wachsen.“

Dass Modjgan Hashemian in den Uferstudios die erst zweite künstlerische Residenz ihrer Karriere verbringt, möchte man kaum glauben, blickt die Choreografin doch auf eine über 25 Jahre andauernde berufliche Laufbahn zurück. „Es hat sich vorher nie gefügt – meist war ich mitten in Produktionen, wenn Fristen anstanden, oder als alleinerziehende Mutter nicht in der Lage lange Aufenthalte außerhalb Berlins einzurichten,“ berichtet die Choreografin über die in den letzten Jahren ausgebliebenen Möglichkeiten künstlerischer Residenzen. Ein dementsprechend besonderer Moment in ihrer Karriere ist die Residenz, die Modjgan 2024 in den Uferstudios verbringt.

Lange schon hatte sie geplant, sich künstlerisch mit dem Thema der Mutterschaft auseinanderzusetzen – doch erst der Tod ihrer eigenen Mutter in diesem Jahr gab den entscheidenden Impuls, diese Recherche intensiver zu verfolgen. Die Residenz kam daher genau zur richtigen Zeit – sie bildete für Modjgan Hashemian den Startschuss, sich mit dem Thema Mutterschaft in all seinen physischen, psychischen und gesellschaftlichen Facetten zu beschäftigen und sich der Vielschichtigkeit des Themas sowohl körperlich als auch auf theoretischer Ebene zu nähern.

„Als ich vor 19 Jahren selbst Mutter wurde, habe ich eine andere Perspektive auf meine eigene Mutter bekommen, die alleinerziehend drei Kinder großgezogen hat."

#residenz

Ein Schwerpunkt in ihrer künstlerischen Auseinandersetzung mit der Thematik bildet für Modjgan die körperliche und psychische Transformation, die sie mit der Mutterschaft verbindet. Welche Veränderungen durchlebt eine Frau*, wenn sie zur Mutter wird? Und wie transformiert sie sich auch nach der Geburt noch weiter?

Modjgan Hashemian, die sich in ihren vergangenen Arbeiten oftmals mit ihren iranischen Wurzeln auseinandersetzte und in ihre Choreografien häufig dokumentarische Elemente miteinfließen ließ, reflektiert auch in dieser Residenz über ihre eigenen Bezugspunkte zum Thema Mutterschaft: „Als ich vor 19 Jahren selbst Mutter wurde, habe ich eine andere Perspektive auf meine eigene Mutter bekommen, die alleinerziehend drei Kinder großgezogen hat. Ich bin auch alleinerziehend, und immer wieder denke ich, dass diese zwei Arme, die man hat, nicht ausreichen, um dem gerecht zu werden, was man alles sonst noch so nebenher bewältigen muss.“ Diesen Gedanken spinnt die Choreografin weiter, indem sie in ihrer Residenz die gesellschaftlichen Vorstellungen vom „idealen Körper“ einer Mutter befragt und diese ad absurdum führt: „Ich habe mich gefragt, wie die perfekte Mutter fernab von irgendwelchen Schönheitsklischees aussehen sollte. Und da kam mir das Bild der Krake – die Vorstellung, dass dir mit der Geburt eines jeden Kindes zwei zusätzliche Arme wachsen – das fand ich sehr passend.“

Dieses Bild nimmt sie mit in ihre Recherche, zu der sie auch zwei Tänzerinnen einlädt: Brit Rodemund und Laura Alonso haben ebenso Kinder, sind aber Mütter einer jeweils anderen Generation. Mit ihnen arbeitet Modjgan daran, Mutterschaft choreografisch und körperlich zu erforschen. Dramaturgisch wird sie dabei unterstützt von Anke Sauerteig, die ihr immer wieder Lektüre zum Thema Mutterschaft ins Heizhaus bringt. „Für mich ist es wichtig, dazu viele Perspektiven zu hören und das Thema aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten.“, erklärt Modjgan ihren Ansatz.

#fürsorge

Aus diesem Grund hat sie ebenfalls eine Hebamme eingeladen, die der Choreografin während ihrer Residenz Einblicke in Geburtsprozesse und die Verbindung zwischen Mutter und Kind gibt. Besonders faszinierend ist für Modjgan hierbei die Beschäftigung mit der Nabelschnur und die Frage, inwieweit die Verbindung zwischen Mutter und Kind nach der physischen Trennung der Nabelschnur weiterbesteht – sei es durch emotionale Bande oder intuitive Verbindungen.

Aber auch viele andere Fragen beschäftigen Modjgan Hashemian in Zusammenhang mit Mutterschaft: Was für Formen der Mutterschaft gibt es im Tierreich? Wie werden Mütter in unserer Gesellschaft dargestellt? Wie in Literatur und Musik? Auch die Frage, wie sich die Symbolik der Mutterschaft in unserer Sprache – zum Beispiel durch Begriffe wie Muttermund, Muttermal oder Mutterkuchen – fortträgt, ist Teil von Modjgans mannigfaltigem Interesse am Thema.

Ein Highlight ihrer Residenz markiert eine ungewöhnliche Essenseinladung: Modjgan Hashemian trifft sich an einem Abend mit den unterschiedlichsten Menschen und bittet sie vorab, ein Objekt mitzubringen, welches die Gäste mit ihrer jeweiligen Mutter verbinden. An diesem Abend entspinnen sich viele Geschichten – nostalgische, ermutigende, aber auch traurige Erzählungen nehmen am Tisch Platz.

Bei all der Recherche versteht die Choreografin Mutterschaft nicht ausschließlich als etwas exklusiv Weibliches. Denn ein für Modjgan sehr wichtiger Aspekt von Mutterschaft, nämlich der der Fürsorge, kann auch durch Männer oder nicht-binäre Personen geleistet werden und existiert somit jenseits biologischer Konzepte. Auch diese Dimension fließt in Modjgans Recherche ein und erweitert das klassische Verständnis von Mutterschaft.

Am Ziel einer Aufführung interessiert, aber nicht notwendig orientiert – so beschreibt Modjgan Hashemian den Reflexionsraum, der sich ihr durch die Residenz in den Uferstudios geöffnet hat. Doch ihre Residenz ist nicht nur persönlicher Reflexionsraum, sondern vor allem eine inspirierende Untersuchung und die intensive Auseinandersetzung eines Themas, das als fundamentale menschliche Aufgabe verstanden werden kann – und die durch Modjgan Hashemian sicherlich auf die ein oder andere Weise zukünftig in den künstlerischen und gesellschaftlichen Diskurs einfließen wird.

 

Modjgan Hashemian verbrachte im zweiten Halbjahr 2024 insgesamt 4 Wochen im Heizhaus der Uferstudios im Rahmen des Berliner Residenzprogramms "Erprobungen" 2024, gefördert durch die Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt.

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